Donnerstag, 21. Februar 2013

Westliche und östliche Spiele

Computerspiele spiegeln bis zu einem gewissen Grad die Gesellschaft wider, aus der sie stammen. Weltweit unterscheidet man zwischen westlichen (Europa, Amerika) und östlichen (Asien, v.a. Japan) Computerspielen. Diese unterscheiden sich typischerweise in einigen charakteristischen Punkten. Nationale Unterschiede sind wegen der Globalisierung des Marktes nur noch schwer auszumachen. Dennoch gibt es sie. So findet der amerikanische Spieleentwickler Bob Bates, dass deutsche Spiele zu kompliziert sind und man zu lange braucht, um sich darin zurecht zu finden. Die deutschen Fans sehen das möglicherweise anders und schätzen die Komplexität der Spielwelt. Für Konsolenfreunde sind solche Spiele wohl weniger geeignet. Regionale Unterschiede in der Spieleentwicklung bilden einen fruchtbaren Boden für neue Ideen, deshalb ist eine Auflösung der Unterschiede und eine Globalisierung für die Kreativität und künstlerische Vielfalt nicht unbedingt förderlich. Für den Markt natürlich schon eher, weil er lieber Einheitsbrei verkauft, der überall ein kleines bisschen ankommt, anstatt Spiele, die aufgrund ihrer Individualität besonders gerne in bestimmten Regionen gespielt werden.
Am deutlichsten sind heute noch die Unterschiede von West und Ost zu erkennen. Es folgt eine kleine Auflistung, die möglicherweise nicht vollständig und nicht hundertprozentig korrekt ist, aber die Tendenz aufzeigt. Hier mit dem Augenmerk auf Rollenspiele, aber prinzipiell lässt sich das auch auf andere Genres übertragen. Einige Punkte gelten nicht für alle Spiele, aber sind dennoch typisch für westliche Spiele im Unterschied zu östlichen.

Westliche Spiele 

  • individuelle, umfangreiche, langsame Charakterentwicklung
  • freie Charaktergenerierung
  • wählbare Fähigkeiten
  • Charakterentwicklung beeinflusst Spielverlauf
  • große Entscheidungsfreiheit
  • offene, lebendige Welt
  • stark ausgearbeitete Welt und Umgebung mit vielen Interaktionsmöglichkeiten
  • nichtlinear
  • viele optionale Nebenquests mit eigener Geschichte, die den Hauptcharakter oder die Hauptquest nicht unbedingt betrifft
  • Aufleveln wird durch Geschichten und Entscheidungsmöglichkeiten interessanter
  • realistischere Grafik (Proportionen und Farbe)
  • mittelalterliche Fantasywelt
  • düstere Atmosphäre
  • Spieler ist Schöpfer seiner eigenen Geschichte (deshalb wenige vorgegebene und viele wählbare Eigenschaften)
  • Alter der Hauptcharaktere bewegt sich in einem größeren Spektrum (zwischen jung und alt)
  • komplexes Fähigkeitensystem (Pen&Paper-Vergangenheit)
  • komplexe Steuerung (Maus+Tastatur)
  • für Computer ausgelegt
  • geringere Relevanz der Nebenfiguren
  • große Eigensinnigkeit der NPCs; sie müssen nichts mit dem Spielercharakter zu tun haben und gehen ihre eigenen Wege (Realismus)
  • natürliche Hindernisse lenken die Handlung (Stärke von Gegnern, Zugangsbeschränkungen, Zeitlimit)
  • realistischere Hintergrundgeschichte (z.B. keine Weltrettung im Alleingang, sondern im Rahmen einer größeren Handlung)
  • Third-Person-Perspektive / Isometrische Perspektive / Egoperspektive
  • Spielverlauf und Kampf werden nicht perspektivisch getrennt
  • Echtzeit-Kämpfe
  • Anspruch an kreatives Denken des Spielers zur Problemlösung (z.B. in offener Welt die richtigen Entscheidungen treffen, um zum Ziel zu gelangen)
  • schwierigerer Einstieg mit Orientierungsphase, der eine Einführung in die Spielmechanik erfordert
  • aktives Eingreifen in die Spielwelt
  • Das Steuern des Charakters und die Interaktionen mit der Spielwelt werden untermalt mit den Geschichten der Quests
  • hoher Wiederspielwert (Entscheidungsfreiheit, Klassenwahl, Gut/Böse, Lösungswege, unterschiedliches Ende, neue Nebenquests)
  • Möglichkeit von Spieler-Mods durch Verfügbarkeit eines Editor-Programms
  • Beispiele: Gothic, The Elder Scrolls, Dungeons & Dragons Computerspiele (Baldur's Gate, Neverwinter Nights, ...)
  • Spieler verschmilzt mit Spielfigur und identifiziert sich mit ihr (Avatar)
  • Spielwelt ist Schauplatz der Haupthandlung, aber nicht an sie gebunden
  • langsamere Entfaltung der Haupthandlung
  • unterschwellige Begleitmusik, die die Stimmung tragen soll, aber nicht penetrant vorschreibt

 

Östliche Spiele

  • langes, repetitives, monotones Leveln und Sammeln (z.B. Asia-Grinder) mit wenig Einfluss auf die Charaktereigenschaften
  • dem Spieler wird eine Geschichte erzählt, ähnlich wie ein interaktiver Film
  • passives, rezeptives Spielerlebnis 
  • geringe Anforderungen an kreatives Denken
  • wenig Entscheidungsfreiheit (außer der Waffenwahl)
  • wenige Nebenquests
  • vorgegebene Charaktereigenschaften, die dem Spieler im Laufe der Geschichte erzählt werden
  • automatische Charakterentwicklung auf Basis vorgegebener Fähigkeiten
  • eher bunte Grafik bis zu sehr bunter Comic-Grafik
  • unrealistische bis surreale Proportionen
  • Fantasywelt mit sehr wenig mittelalterlichem Bezug (nur äußerlich: Schwerter, Rüstung)
  • für Konsolen ausgelegt
  • simple Steuerung (Gamepad)
  • linearer Spielverlauf (durch künstliche Hindernisse beschränkt)
  • wichtige Nebencharaktere werden intensiver dargestellt, bis die Grenzen zum Hauptcharakter nahezu verschwimmen
  • NPCs existieren nur, um sich vom Spieler ansprechen zu lassen und ihm zu helfen oder ihn zu behindern. Sie scheinen kein eigenes Leben zu führen.
  • Spielverlauf in Vogelperspektive
  • rundenbasiertes Kampfsystem mit eigener Perspektive
  • aufwendige Zwischensequenzen
  • meist junge Hauptcharaktere (< 25)
  • leichter Einstieg
  • viele Minigames
  • Spielerlebnis ist wie eine Geschichte, die mit spielerischen Elementen untermalt wurde
  • geringer Wiederspielwert (linear, vorgefertigte Geschichte)
  • Spieler baut emotionale Beziehung zur Spielfigur als Gegenüber auf
  • viele komische/absurde Spielelemente zur Unterhaltung und Unterstützung der fröhlichen Atmosphäre
  • Spielwelt ist stark an Haupthandlung gebunden (Welt wurde für die Geschichte erschaffen, anstatt dass die Geschichte in der Welt spielt)
  • intensiv hervortretende orts- und ereignisgebundene Begleitmusik

Das waren die typischen Charakteristika von westlichen und östlichen Rollenspielen. Es gibt wahrscheinlich kein Spiel, das alle diese Elemente in sich vereint. Im Großen und Ganzen sollte das aber einen guten Überblick bieten und es ermöglichen, diese Spiele zu unterscheiden. 
Woher kommen diese Unterschiede? Asiatische Spiele haben sich ursprünglich aus westlichen entwickelt, aber wurden - wie auch die westlichen - durch die kulturelle Herkunft der Entwickler geprägt. In Asien herrscht eher eine kollektivistische Denkweise, während der Westen individualistisch geprägt ist. Ein Ausdruck davon ist die östliche Schamkultur und die westliche Schuldkultur. In einer Schamkultur werden die Handlungen von der Angst vor Bloßstellung und Kritik durch andere geleitet. In der Schuldkultur regiert das innere Gewissen und die Verantwortung vor sich selbst (oder früher Gott). Vereinfacht gesagt lassen sich einige der oben genannten Punkte auf diese kulturellen Unterschiede zurückführen.

Videos



Links

Multimediaxis: Westliche Rollenspiele
Wikipedia: Westliche Rollenspiele